Appetitzügler

Posted by Derek on November 22, 2014 in Der Pendler with Comments closed |

Heute im kleinen Hamburg gewesen. Bremen versteht es, hanseatische Größe hinter Dorfidylle zu verstecken. <a href=”http://www.big-bremen.de/de/kontakt” target=”_new”>Kontorhaus</a> am Markt. Vermutlich 1941 entkerntes, klassizistisches Gebäude mit großem, gläsernen Aufzug in der Mitte. Gallerien links und rechts, im Parterre ein Kaffee – sehr nett. Ich schwebe aus dem 4. Stock herab. Zwei Mütter nebst Kinderwagen sitzen am vorderen Tisch. Trotz fortgeschrittenen Alters und postnataler Figursenkung wird souverän eine Hose angezogen, die höchstens bei gertenschlanken Kiddies OK ist, also an der unteren Arschhälfte aufhört. Das Stilleben wird durch einen türkisfarbenen Tanga komplettiert. Das dünne Farbband signalisiert: Hier Arschende! Dazwischen quillt rosa Gewebe. Ich reagiere mit einer Schreckstarre.

Der Gedanke, ob ich noch Essen gehe wird verworfen, stattdessen kaufe ich mir ein Buch.

Waggon-Zönosen

Posted by Derek on November 22, 2014 in Der Pendler with Comments closed |

Faszinierend, neulich im Gespräch mit Kollegin festgestellt, das jeder Waggon eines Vorortzuges immer von der gleichen Gemeinschaft von Pendler genutzt wird. Also Hamburg – Cuxhaven, täglich 7:14 Uhr, Wagen 1: der miesepetrige Studienrattyp (Ausstieg Buxtehude), der sich immer beschwert, daß die Fenster auf sind, der solariumgebräunte Nachtwächter der JVA, bei dem ich mich immer entschuldigen würde, sollte ich ihn anrempeln (Ausstieg Stade), der Lehrertyp, der grundsätzlich immer eine Fahrkarte im Zug gelöst hat, in der Hoffnung, mehrmals die Woche unbezahlt transportiert zu werden, da der Schaffner/Zugbegleiter nicht rechtzeitig vorbeikam – Ausstieg Buxtehude. (Dem hat das neue Tarifmodell der HVV einen Strich durch die Rechnung gemacht.) Oder Hamburg – Stade, täglich 7:39 Uhr, letzer Wagen: Zustieg Harburg, der Herr mit der auffälligen weißen Haarsträhne, der mit einer Zeitung die gegenüberliegende Sitzgarnitur schont, die Füße hochlegt und weiterschläft. Die diversen Staatsanwälte, die in Neugraben und Horneburg zusteigen, von einer weiteren Kommentierung sehe ich aus juristischen Gründen ab.

Dies weckt sofort den Forschergeist. Werde mich zwecks Kartierung mal in die anderen Waggons setzen und schauen, welche vielfältigen Artengemeinschaften dort existieren.

Vielleicht sollte ich mich auf die Suche nach dem Lebensraum des Herrn machen, der eine Zeit lang mit Kickboard in Harburg am Zug vorbeigerollt ist, neuerdings aber an der Waggonreihe vorbeischlurft und mich irgendwie an Gaston erinnert.

Besteige also den dritten Waggon, Hamburg – Stade, 7:39 Uhr; es stinkt nach kaltem Erbrochenem. Werde meine Studien also in Waggon Nr. 2 beginnen.

Läufer sind die besseren Biker

Posted by Derek on November 22, 2014 in Absurdistan with Comments closed |

Der 20. Mai rückt näher, das große Fußballturnier. Mein Lauftraining setze ich regelmäßig alle 2-3 Tage fort. Gebracht hat es nichts wie mir die tonnenschweren Beine bewußt machen, auf denen ich seit unserem Testspiel vom Montag wanken muß. Was für ein Sch…muskelkater. Zwei Stunden Indoor waren doch ein bißchen viel.

Aber zurück zum Lauftraining. Wenn man so über Felder und Wiesen joggt, grüßen auf einmal wildfremde Menschen. Papageigrelle Geschöpfe mit gelben, schrittengen Leggins und silbrigen Nikeschuhen mit integrierten Fußgeruch von Ben Johnson. Kenne ich solche Menschen? In meinem schlabbrigen Trainingsanzug mit übergeworfener Kaputze sehe ich eher wie die gestreckte Version von Sylvester Stoned in Knocky IX aus – nur abgekommener. Freundlich hebe ich die Hand zum Gruß und fühle mich gleich an die Biker erinnert, jene verschworene Gemeinschaft der Freeway-Flyer, jene Rebellen und harten Kerls des Alltags. Mit lässiger Handbewegung signalisieren sich diese Renegaten des 20. Jahrhunderts, das sie in jeder Kurve dem Tod ins Gesicht lächeln.

Dabei ist mir aufgefallen, daß dieser lässige Gruß in letzter Zeit immer häufiger unter der Zweiradzunft wegfällt. Das mag zum einen daran liegen, daß die Jockeys der Muscle-bikes, Jogurtbecher und giftigen Streetfigther bei 260 km/h ungern die Hand vom Lenker nehmen. Schlichtweg nimmt man auch nicht mehr wahr, was einem mit 260 Kaemha entgegenkommt. Wenn ich stehe und etwas mit 520 km/h an mir vorbeifliegt sehe ich nicht mehr was das war.

Ein anderer Grund: Fuhren früher echt harte Jungs wie die Hells Angels die Karren, die in Millwaukee vom Band fallen, so sind das heutzutage nur noch Leute, die bei Stückpreisen ab 30.000 Euro ohne Funktionsgarantie mitbieten können. Anwälte, Zahnärzte, echte Kreative. Und da kostet jede Handbewegung. Ein lässiger Gruß eines 45-jährigen Anwalts auf seiner Harley „Electra Shadow Glide Slow Edition“ zieht dann schon mal ‘ne Kostennote von 250 Euro nach sich. Besser, die grüßen nicht und ziehen stumpf ihre Runden um die angesagte Eisdiele.

So verkommen die Symbole der letzten Rebellen.

Wie schön, das Läufer die Tradition der Straße nun fortführen.

Generationskonflikt

Posted by Derek on November 22, 2014 in Absurdistan with Comments closed |

Mein neunjähriger Sohn findet Depeche Mode gut. Ich auch. Deutscher Betroffenheits-Pop amüsiert ihn, da jeden Samstagmorgen Xavier heult, wenn ich mein Brötchen aufschneide: „Dieser Weg wird kein leichter sein …“ Belustigt dreht er das Radio leiser, wenn ich einstimme. Juli oder August ist schon grenzwertig. Er findet es gut, ich ertragbar.

Neulich war seine Schulfreundin hier und hat ihre Lieblings-CD mitgebracht. Gerade zur Tür hereingekommen, empfängt mich eine piepsende, überschlagende Kinderstimme: „Schreeeiii, bis du sechs bist, Schreeeeiiiiii, Schreeeeiiiiäh …“

Wie vor den Kopf gestoßen, bleibe ich stehen. „He Papa, das ist Tokyo-Hotel, cool `ne?“ D A S ist Tokyo-Hotel – S C H E …. Blick aufs Cover. Himmel hilf. „Coole Frisur“ antworte ich, um im Gespräch zu bleiben. Ich tausche einen langen Blick mit meiner Frau aus. ‚Wenn Hendrik irgendwann mal zu Tokyo-Hotel will, gehst DU mit ihm!’ ‚Nein, DU’. Wir einigen uns, das Hendrik ein Live-Concert von TH nicht besuchen wird und hoffen, dass die Band alsbald die Grätsche macht.

Meine Eltern fanden Herbert Grönemeyer auch doof: „Der kann garnicht singen“ – stimmt, hat er auch nie behauptet. Aber seine Texte waren genial gereimt und nicht immer ernst gemeint wie von Freund Xavier. Und in puncto Anarchie war Trio kaum zu überbieten – war auch nicht ernst gemeint.

Das blaue Licht

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In Himmelpforten ging mal wieder die Welt unter. Das Gewitter war wirklich von beeindruckender Heftigkeit. Heute fahre ich mal früher, um vor 0:00 zuhause zu sein.

 

Die Nachrichten aus dem Radiowaren vielversprechend. Schweres Unwetter in Harburg, chaos, Stromausfall, zwei Tote durch den Sturz von Kränen. Wie üblich übertreibt die Zunft mal wieder. Bahnhof Stade: Die Zugbegleiterin, die sich pedantisch immer jede Fahrkarte anschaut, obwohl sie weiß, daß ich ein Jahresabo habe, fragt ob ich wirklich nach Hamburg fahren wolle. „Haben Sie nicht jemanden, bei dem Sie bleiben können?“ Mich durchzuckt „Martin“ und entscheide zu fahren: „So schlimm kann es nicht sein“. Der Zug kommt problemfrei in Neugraben an. Dort steht eine S-Bahn der Linie S1, die dort für gewöhnlich nicht steht. – Nicht einsteigen – wie üblich sprudelt das Personal vor Informationswut über. Auf meine Nachfrage wird bescheinigt, das bis Harburg-Rathaus gefahren wird, danach Schienenersatzverkehr wohl besteht.

Der S-Bahn-Kapitän steigt ein, fährt los. Keine Ansage – sehr zur Überraschung der drei Jugendlichen, die auf dem Bahnhof zurückbleiben. Ankunft in Harburg-Rathaus. Ein kleiner S-Bahn-Wachmann weist den Weg nach oben. Ich sprinte die Treppen hoch und bleibe überrascht stehen. Dunkelheit empfängt mich, nachdem ich den hellen U-Bahnschacht verlassen habe. Ich brauche einige Sekunden, ehe ich realisiere das alle Ampeln ausgefallen sind und alle Laternen und alle Wohnungen und Häuser nur spärlich oder garnicht erhellt sind, als herrsche Verdunkelung. Dann taucht die Welt in blaues Licht, gespenstisch in dunklen Schaufenstern reflektiert. Mindestens fünf Polizeiwagen erreichen die Kreuzung, ein sechster rast mit der üblichen Musik vorbei. Ich stehe auf einer dunklen Verkehrsinsel und schaue in alle Richtungen. Neben mir überqueren einige Personen mit Taschenlampen und grünen oder blauen Handleuchten die Straße. Ich fühle mich an Tiefseefische erinnert.

Ostentativ hält gegenüber ein Polizeiwagen und bleibt mit Blaulicht auf der Kreuzung stehen. Langsam bekomme ich den Eindruck unsere Fachkräfte für innere Sicherheit spielen Ghettounruhen. Gegenüber steht auch ein Bus – Schienenersatzverkehr. Ich eile auf ihn zu, aber der Fahrer nimmt keine Kenntnis von mir und fährt weiter. Es sind wenige Autos unterwegs, meist im Schrittempo. Immerwieder blitzt Fernlicht auf und eine winkende Gestalt vom Straßenrand wird aufgenommen.

Ich entdecke die vorgesehene Haltestelle, ein Häuflein versprengter Pendler hat sich dort eingefunden. In deren Rücken hat mit Notbeleuchtung ein Kiosk geöffnet, an dem eine Handvoll jugendlicher Mitbürger südländischer Herkunft lungern. Magisch ziehen sie jeden Polizeiwagen an. Als erstes einen großen Mannschaftswagen, in dem vorne zwei ernstblickende Bereitschaftspolizisten sitzen und hinten in lässiger Entschlossenheit weitere drei hochgerüstete Kollegen. Bedächtig rollt der Wagen am Kiosk vorbei. Austausch entschlossener Blicke. Wenig später rollt ein silberblauer Streifenwagen mit blinkenden Lichtern vorbei. Schaukelnd ruckelt er auf den Gehweg. Geöffnete Fenster, langer Blick von innen nach draußen. Zum Glück kennen alle Beteiligten die einschlägigen amerikanischen Filme. Souveräne Blicke der Polizisten werden von den Jugendlichen mit lässiger Lockerheit erwidert, gerade als seien sie zufällig hier dazugekommen. Ich spiele perfekt den verlorenen Pendler, der ergeben auf die Rettung durch die Verkehrsbetriebe wartet.

Pawlowsche Pendler

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Jetzt ist es soweit: die Bahn experimentiert mit ihren Kunden. Gestern rechtzeitig die S21 erreicht – sogar ohne Hetze. Aber sinnloserweise werden bei der S21 um 17:15 Richtung Aumühle dann in Bergedorf die letzten drei Waggons „ausgesetzt“ (Waggonquäler). Das hört sich in Bahndeutsch so an: „We´te Fahrgäste, die letztn drei Wagen werden in Bergedorf ausgestzt. Bitte alle aussteigen, benutzn sie nur die ersten drei Wagen. Die hinteren bleiben in Bergedorf und wern ausgesetzt.“ Also alles aussteigen in Bergedorf und nach vorne pilgern.

Durch diese monotone Wiederholung ist es gelungen, erfahrene Pendler viehgleich zum automatischen Verlassen des Zuges zu bewegen. So erging es mir auch. Ich erwachte erst aus meiner Starre, als der Zug Tempo aufnahm und an mir vorbeirauschte.

Der Schwarm

Posted by Derek on November 22, 2014 in Bücher with Comments closed |

Der Trüller des Jahres liegt vor mir. Ich hatte ihn mir in Bremen als Reiselektüre gekauft, da das Werk ja überall gelobt wurde. Erste Eindruck – nettes Cover. Da ich kein Schnell-Leser bin tun mir 950 Seiten richtig weh. Tja, nach drei Wochen hatte ich mich durchgekämpft.

Die Story:

Nette Idee, daß in der Tiefsee intelligentes Leben herrscht und aus Frust mal eben die Europäer weghaut. Ansonsten Roland Emmerich, alles ‘n Tick zu groß, aber irgendwie deutsch. Phasenweise ganz nett erzählt und auch gute Einfälle wie französischer Hummer oder kollektives Schiffeversenken. Meist aber zu konstruiert und die Dialoge seltsam hölzern. Zuviele Hauptpersonen, die eh alle auf anstrengende Weise umkommen. Selbst Tolkien ist mit weniger ausgekommen und hat trotzdem eine gute Story abgeliefert.

Der Ballast:

Dann die Überlängen – nach 40 Seiten „Nunuk trauert um Papi im Eis“ habe ich einfach zum Ende des Kapitels weitergeblättert, ohne auf Verständnisprobleme zu stoßen. Die eingesetzte Technik wirkt mit zunehmender Lesedauer immer mehr dem Fantasialand entnommen. Superschnelle Rechner, ausgereifte Tiefseetechnik aus Käptain Nemos Trickkiste und Gentechnik aus der Hosentasche. Dazwischen noch schnell ein paar SETI-Wissenschaftler, die mal locker eben mit einer fremden Rasse reden. Vermutlich überhören wir seit Jahrzehnten das Klopfen an unserer kosmischen Tür, aber hier wird mal eben Razfaz ein Kontakt hergestellt.

Die Wissenschaftler:

Bißchen europalastig. Wenn ich mir so mal die „Wissenschaftler“ Revue passieren lasse, die ich während meiner Uni-Zeit kennengelernt habe, dann paßt das irgendwie garnicht. Besonders nervig – Anawak, der schmollende Eskimo, der partout nicht seine Wurzeln pflegen möchte. Das ist ausgerechnet der einzige Kandidat, der nicht von der Schiffsschraube gequirrlt, vom Kalmar gevierteilt oder von Krabben zu Tode gepimpert wird. Politisch halt voll korrekt, Minderheiten zu schonen und summarisch Dänen und Holländer vom Planeten verschwinden zu lassen. Kleine Anspielung auf die kommende WM.

Die Militärs und Geheimdienstler:

Klar, die sind voll fiese, auch wenn sie gut aussehen und haben nur finstere Päne im Sinn. Ganz in Emmerich-Manier werden sie auch alle platt gemacht. Das der BND bei der Aktion im Kanadischen Hauptquartier mitmacht, ist so realistisch wie ein Auftritt der Kölner Jecken auf dem Karneval in Rio.

Fazit:

Meeresfrüchte a la Jaques Costeau in Emmerich-Einheitssoße, angemacht mit einer guten Portion populärwissenschaftlichen Halbwissens.

Handypraktikanten

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Mittwoch, Fahrt nach Berlin. Ich sitze im Osteuropa-Express – Berlin, Dresden, Prag, Wien. Einstieg in Bergedorf, ich entscheide mich für den letzten Waggon. Schön leer hier. „Ja. Hallo. Ja. Schönes Wochenende. Ja, ich sitz’ im Zug.“ Von wegen ruhige Fahrt. „Ja, ich hab’ auch mal Urlaub, muß ja auch mal sein. Ja, ich trink hier ‘n schönes Pils. Ja, ein Haake-Beek, ja muß auch mal sein.“ Mit wie wenig Worten eine Konversation möglich ist. Blick nach hinten. Bikerkluft, graue Haare zum Zopf, Bier in der rechten, Mobiltelefon in der linken Hand. „Hier liegt noch Schnee, weiste … ja, hab schon Wochenende, mit ‘nem schönen Pils. Und du? … Ja, is’ ja auch jetzt regelmäßig beim Arzt. Kann auch nicht mehr so gehen und hatte keine Lust mehr.“ Der Kollege Mitreisende neben mir schläft. Was ein Glück für ihn. Fünf Minuten Pause. „Ja. Ich sitz’ hier im Zug …“ Wieviel Dumpfbacken kennt der denn – und warum er die alle aus dem Zug anrufen muß. Nach Wittenberge erschieße ich ihn. Tatsache ist, daß er genau 14 Personen anrief. Ich habe ihn nicht erschossen.

Vier Reihen vor mir, braune Prinz-Heinrich-Mütze, Einfahrt Spandau. Polyphones Klassikgedudel aus der Reisetasche in der Gepäckablage. Der Vibrationsalarm ist bis zu mir zu spüren.

Quälend lange 20 Sekunden braucht Prinz-Heinrich, das Telefon zu bergen. „Hallo, ja ich fahr in Spandau ein.“ Sollte sein Gesprächspartner im Bahnhof Zoo warten, kann er beruhigt das Telefon auflegen. Prinz-Heinrich wäre auch so dort zu verstehen.

Hindi-Verkehr

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HVV – das steht dieser Tage für Hindi Verkehrsverbund und nicht für den Hanseatischen Verkehrsbetrieb. Zugegeben der Reinbeker Bahnhof wird von Grund auf saniert und verliert den Charme der 70er Jahre. Unterführung und angrenzende Gebäude verströmten in ihrer Ungepflegtheit einen morbiden Glanz. Der Geruch von Urin lag wie Parfum auf der Unterführung. Und allen Pendlern ist noch der Starkregen vor zwei Jahren präsent, als die Unterführung knöcheltief unter Wasser stand – da war am Morgen schon die Entscheidung gefragt – Schuhe ausziehen oder waten. Da ich nach meiner Radtour zum Bahnhof bereits eh völlig durchweicht, war konnte ich hier mutigen Schrittes durch den Canale excremento voranschreiten und die bewundernden Blicke der Damenwelt auf mich ziehen, die gerade dem Bus entstiegen waren.

Also dieser Bahnhof wird nun abgerissen und sieht aus wie das Hauptquartier der 82. Division in Stalingrad. Folglich kann es zu Verzögerungen in diesem Bereich kommen. In den ersten Tagen waren Parallelen zur indischen Staatsbahn durchaus zu erkennen. Erst kam der Zug garnicht. Dann bequemte sich ein Mitarbeiter darauf hinzuweisen, daß der Zug wohl Verspätung hätte. Ah, S21 steht also für „21 [Minuten] später“. Das setzte sich in den nächsten Tagen so fort. Eigentlich warte ich nur darauf eines morgens einen Rotrock auf dem Bahnsteig zu erblicken, der per Aklamation die nächsten Abreisezeiten verkündet. OK, stehe ich halt jeden Morgen etwas früher auf um pünktlich in Stade zu erscheinen. Hoffentlich gewöhnt sich die HVV nicht dieses gemächliche Dahinfahren auf dieser Strecke an.

WM-Fieber

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16:30 Uhr, schnell aus dem Büro und ab geht es. 16:35 Uhr, pünklichst Abfahrt in Stade. Es ist warm. Radio hören, ffn bringt nur die Superhits von heute – die will keiner hören, sondern das Ergebnis Südkorea vs. Togo. 17:00 Uhr, Einfahrt Neugraben, Südkorea gewinnt 2:1, genau mein Tipp. Wenn es heute klappt wie gestern, bin ich Punkt 18:00 zuhause, genau zum Anpfiff Frankreich vs. Schweiz.

Neugraben, die S-Bahn rollt genau zur angegebenen Zeit aus dem Bahnhof, jawoll!

Es ist Sommer. Ich hoffe ich stinke genauso wie meine Sitznachbarn, das wäre ausgleichende Gerechtigkeit. Ich sitze im Bereich hinter der Fahrerkabine. Der Pilot hat die Tür zum Fahrzeugstand nicht richtig geschlossen und ob der Beschleunigungskraft des Gefährts fliegt sie nun wild hin und her. Von seinem bequemen Sitz aus angelt der Pilot verärgert nach der widerspenstigen Tür. Meint er mit dem bösen Blick, ich hätte die Tür zuschlagen sollen?

Einfahrt Wilhelmsburg. Transperierende Menschen steigen aus, transperierende Menschen steigen ein. Unser Kapitän öffnet das Seitenfenster. Eine Frau, Typ Michelinmännchen, in vorteilhafter Legins baut sich am Fenster auf. Es sieht aus, als ob sie sich nach den Busabfahrtzeiten erkundigt. Wenig erfreut spricht er mit ihr. Ich widme mich dem Schwitzen und meinem Buch über England. … Ich stutze und schaue auf. Stimmt, wir sind immer noch nicht weitergefahren. Die Bahnsteigfee und der ergraute S-Bahnlenker sprechen immer noch miteinander.

Der Gegenzug fährt ein und wieder ab. Er nestelt an seiner Geldbörse herum und steckt der Maid einen kleinen Geldbetrag zu. Ein kurzer Blick bestätigt mir, dass meine Mitfahrer aus dem vorderen Zugteil amüsiert oder verärgert dem Schauspiel folgen. Einige machen den Eindruck als wollten sie gleich mit der Faust an die Fahrerkabine klopfen. Die Frau bewegt sich mit unnachahmlicher weiblicher Eleganz drei Schritte vom Führerhaus fort. Mit einer gefährlichen Hüftdrehung wendet sie abrupt und reckt sich dem Führerhaus entgegen. Küßchen, unser S-Bahnpilot nimmt Platz am Ruder und setzt die Fahrt fort.

Mir ist klar, daß ich den Anschlugszug verpaßt habe, aber die menschliche Tiefe und die Freude über den richtigen Tipp machen diese kleine Erschütterung des Fahrplans vergessen. Im Übrigen war das Spiel Sch…. .

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