Büchsbiertag

Posted by Derek on November 22, 2014 in Der Pendler with Comments closed |

Ah, der Sommer kommt wieder. Ist im August doch noch nicht Schluß mit Lustig. Der Pendler sitzt bei gepflegten 35°C Innenraumtemperatur in der S-Bahn, selbstredend an der sonnenbeschienen Fensterseite. Meine Sitzgruppe ist noch wohltuend leer. ‘Oder liegt es an mir … ?’ Prüfend nehme ich die Witterung auf – ‘nö, das kann es nicht sein.’ Warum fährt die S-Bahn denn nicht los, sollen noch mehr Leute einsteigen. Schon passiert. Ein Herr mit Umhängetasche und 0.5 l – Büchsbiergebinde hält zielsicher auf mich zu. Flatsch! ‘Ja, is’ n bißchen wenig Platz hier, soll ich vielleicht noch was halten, Bier ? Oder die Zeitung?’ Becks aus der Dose, viel Spaß. Nächste Station, Berliner Tor, nächster Kandidat, Karlsberg Gebräu, Saarbrücken – im edlen Cola-Limette-Bier 0,5 -Finalizer. Genau das richtige, um schon in der S-Bahn den Tag ausklingen zu lassen. ‘Brösel !!!’ – kein Problem, wir sind ja in einer Männerrunde. Mal den mp3-Player etwas lauter machen. Vielleicht liegt es doch an meinem Körpergeruch, meine Frau wird mich sicher fragen, ob ich schon einen genommen habe.

Ich sollte es mir bei eineinhalb Stunden Fahrtzeit überlegen, den Tag schon mal zu nutzen, außerdem gibt es dann auch nie Probleme mit dem Sitzplatz. Was kostet eigentlich die Halbliterdose bei Aldi?

S-Bahn Richtung Aumühle. Sie, adrett sommerlich gekleidet, dazu das farblich abgepaßte Handtäschchen. Fünf Minuten Fahrtzeit, endlich, sie reist mit einer nervösen Handbewegung die Handtasche auf. Ich versuche diskret, durch meine Sonnenbrille abgeschirmt, einen möglichst unbeteiligten Blick an meiner Zeitung vorbei in dieses weitgeöffnete Zeugnis weiblicher Psyche zu werfen.

‘Hey, die ist größer als sie von außen aussieht.’ fährt mir als erster Gedanke durch den Kopf. ‘Hm, drei Packungen Taschentücher (ich komme seit Wochen mit einem aus), eine Kollektion an Wimperntusche, obligatorisch das Spiegelchen, eine Puderdose.’ Scheinbar findet sie nicht gleich, was sie sucht und beginnt zu wühlen. ‘Ein Notizblock erscheint an der Oberfläche, wirr mit Merkzettelchen bestückt, ein Nokia-Mobiltelefon, sehr feminin in der Farbwahl, bahnt sich seinen Weg nach oben, im Schlepptau ein Halstuch. Die flache schwarze Geldbörse mit dem goldenen Verschluß vielleicht? Nein, die war es auch nicht. Ein kleines Stickset für den Notfall erscheint an der Oberfläche, gefolgt von einem Nagelpflegeset – das war es auch nicht. Was nicht alles so in eine Tasche paßt. Neuer Wühlvorgang. Pillendöschen, Zigarettenetui, Feuerzeug. Auch nicht. Was sucht sie? Reisebügeleisen, begehbaren Reisekoffer, Faltspiegelwand. Schlüsselbund, Brillenetui 1, Brillenetui 2 – ah! Endlich ein Treffer. Eine Sonnenbrille wird formv

ollendet aus dem Täschchen entnommen.’ Bedächtig drehe ich den Kopf wieder dem Zentrum der Zeitung zu. Das Täschchen ist ein echtes Raumwunder, mein Blick fällt abschätzend auf das größere Modell der Dame auf dem Nachbarsitz. Was für Zentnerlasten mag diese Frau wohl schleppen?

Unmerklich und möglichst desinteressiert schweift mein Blick über die weibliche Mitfahrerschaft. 90 Prozent haben eine Handtasche dabei, die einige in putzig verkrampfter Art in der Armbeuge tragen wie es auch meine seelige Großmutter getan hat. Das Täschchen ist immer dabei, auch wenn sonst Koffer, Rucksäcke oder Einkaufstaschen mit unendlichem Stauraum mitgeführt werden.

Das Format der Taschen variiert von der stilvollen, flachen Etuiform bis zu sturmbeutelähnlichen Umschnalltaschen, die mich in Form und Farbe rührig an meine Bundeswehrzeit erinnern und die Urgroßvater in den Ebenen von Flandern zusammen mit Spaten und Hadgranaten auf dem Weg zur anderen Seite der Frontlinie führte.

Wie zuhause …

Posted by Derek on November 22, 2014 in Der Pendler with Comments closed |

Der Tag beginnt schön. Diesig liegt der Morgentau in den Vorgärten und die Sonne scheint schon blaß durch den Hochnebel. Die S-Bahn-Haltestelle wird weiter renoviert – warum eigentlich? Sie war doch noch gar nicht richtig kaputt. Die S-Bahn rollt ein. Hier hört der Tag jäh auf, gut zu sein. Bei der Einfahrt sieht der Pendler schon, heute wird sein Lieblingsplatz von der Gattung „ich-benehme-mich überall-wie-zuhause“ bevölkert. Da steht er breit im letzten Sitzplatzabteil und wechselt während der Einfahrt des Zuges erstmal das Hemd. Hat wohl heute morgen nicht ganz gereicht. Von dem bisher reichlichen Platzangebot hat er auch regen Gebrauch gemacht. Der Lieblingssitzplatz des Pendlers, belegt durch eine Tasche und eine genüßlich ausgebreitete Kingsize-Schokolade. Der Platz zu seiner Rechten, Ruheort für einen Pilotenkoffer. Die breitbeinige Sitzhaltung und vorgebeugter Oberkörper suggerieren – hier fühle ich mich wohl. Der Pendler beschließt dieses Bild der anmutigen Zufriedenheit nicht durch die Frage: „Ob der Sitzplatz wohl frei ist?“ zu zerstören. Vielleicht ergibt sich ja noch die ein oder andere amüsante Begebenheit.

Abfahrt Richtung Bergedorf, jetzt erstmal stärken. Ein ordentlicher Brocken Schokolade wandert in den Mund. Vergnügt klatscht er sich auf die blaue, ballonseidene Hose. Dazu Trekkingsandaletten – extra groß, immerhin ohne Socken getragen. In Bergedorf füllt sich der Wagen, leider ist die Schattenmacherin heute nicht dabei, wäre eine interessante Begegnung geworden. Allermöhe, jetzt wird es voll. Die ersten Pendler stehen schon, nein, die Sitzplätze werden nicht gräumt. Niemand der zugestiegenen Fahrgäste spricht ihn an. Dickfälligkeit oder nicht alle Latten am Zaun. Ich entscheide mich für dickfällig, da ich gesehen habe, wie er mit seinem mp3-Player umgegangen ist. Sie, blond, Anfang 50 stürzt in den Zug. Der Blick schweift suchend umher. Die deutlich reduzierte Schokolade und das Täschchen markieren stoisch den Platz zur Linken, der Pilotenkoffer den zur Rechten. Die Frau stutzt, sagt aber kein Wort und verläßt den Wagen wieder. Türen schließen, Abfahrt. Die Frau bleibt auf dem Bahnsteig zurück – was war denn das für eine Übersprungsreaktion?

Ich vertiefe mich in den Heise-Artikel über Blogger, dabei entgeht mir wie das „Raumwunder“ seinen Platz nach und nach aufgibt.

Im Übrigen war das „Raumwunder“ ein Omen für einen kunterbunten Tag.

Schattenmacher

Posted by Derek on November 22, 2014 in Der Pendler with Comments closed |

Seit Ferienbeginn sieht man andere Pendler. Neuerdings steigt in Bergedorf eine Frau zu, bei deren Eintritt die Sonne verdunkelt wird. Der Gang zwischen den Sitzreihen wird von ihr komplett belegt. Meist zwängt sie sich in den hinteren Wagenteil, in dem ich auch für gewöhnlich sitze. Ihre Handtasche oder ihr Rucksack bleibt regelmäßig in dem Durchgang stecken und mich befällt mehr und mehr die Sorge, daß der Ruck, mit dem sie sich befreit, sie eines Tages in die Reihe der Sitzenden trägt und den Tod über diese bringt.

Nicht minder gefährlich ist ihr Kaffeebecher, der bei der Befreiungsaktion gefährlich in ihrer Hand hin-und-herpendelt. Ich sehe die heiße Plörre eines Tages schon auf meinem Anzug landen. Heute hat die Landung wieder geklappt – gut 110 kg Lebendgewicht, verpackt in ein weites Oberteil, legginartige Hose und birkenstockartige Sandaletten haben sich neben eine zierliche Mitfünfzigerin gewuchtet. Nach der Landung muß sortiert werden, doch der Kaffeebecher in der rechten Hand stört. Kranartig schwenkt der Arm zum Müllbehälter, der als Tisch für die Morgenbrühe genutzt wird. Die zierliche Mitfünfzigerin entschwindet kurzzeitig meinem Blick, bis der rechte Arm wieder zurückschwenkt. ‘Gut das S-Bahnen keine scharfe Kurvenfahrten durchführen’ fährt es mir mit Sorge um die zierliche Mitfahrererin durch den Kopf.

Mein Blick fällt auf die transparente Handtasche der Schattenmacherin. Eine Tüte Schokoladenkekse, die sofort mit dem Kaffee runtergespült wird, zwei Packungen Zigaretten (heute ist ja Freitag, muß man ja nicht solange auf ‘fe Arbeit sein) und ein Stundenplan. ‘Ist sie Lehrerin?’ durchzuckt es mich und vor meinem geistigen Auge taucht Frau Seidenberg, meine ehemalige Kunsterzieherin auf. Im Format meiner morgendlichen Begleiterin nicht unähnlich, sorgte ihr Unterricht in der fünften Klasse für einen ersten Sprung in meinem bis dahin durch die Grundschule geprägtem, makellosen Respekt vor Lehrern.

Mein Blick wandert wieder auf den Artikel über den Kauf von Sat1 durch die Springer AG und streift noch den stabilen, sympathischen Bild-Leser neben mir, der vorhin beim Einstieg in Bergedorf so freundlich die beiden Frauen vor sich zur Seite geschoben hat, um den Eckplatz zu ergattern. Aus welchem Grund wurde die Dinosaurier doch gleich so groß? Wegen des Hirn-Körper-Indexes oder zum Aussterben?

Unbeteiligte Männer

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Rückfahrt von Neugraben, eine Troika mit Büchsbier steigt zu. Lautstark werden die Plätze zehn Schritt hinter mir eingenommen. Lautstarkes Repitorium des Tages. Ich blicke von der c’t auf und senke gleich wieder den Blick. Harburg Rathaus – SIE steigt zu. Sehr anmutig, kaffeebraune Haut, Sonnenbrille im hochgesteckten Haar, Mini, ewig lange Beine, rote Lackstiefel. Es tritt die Stille ein, wenn ein Storch neben einem Froschteich landet. Wie zufällig blicke ich von der c’t hoch und schaue möglichst gelangweilt den Einsteigenden zu. Die Herrn von der Biertroika geben sich entspannt und schauen offen den neuen Passagieren entgegen. Der Kopf des Mitfahrers, der den Zusteigenden den Rücken zudreht, ruckt merklich als dies gazellenhaft Wesen an ihm vorbeistreicht. SIE schreitet nach hinten und nimmt Platz. Ich senke den Kopf, in diesem Augenblick kreuzt sich mein Blicke mit dem des mir zugewandeten Bierpiloten. Er hebt gerade zweimal anerkennend die Augenbrauen in Richtung seiner Kumpels und lächelt. Ein Lächeln huscht auch über mein Gesicht. Kommunikation ohne Sprache, durch Jahrtausende in den Savannen Afrikas optimiert, ermöglicht Männern nun mal den Austausch von Inhalten, die niedergeschrieben gut ein 20-seitiges Dokument ergeben hätten.

Alle Männer des Wagons gehen so natürlich wie möglich ihren Beschäftigungen nach, als hätten sie dieses anmutige Wesen garnicht zur Kenntnis genommen. Ich denke, SIE wird es auch nicht gemerkt haben.

Die dunkle Jahreszeit

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Dem Pendler wird derzeit auf der S21 einiges abverlangt. Heute um 6:45 an der Haltestelle gewesen. Zug fährt um 7:05 ein. Seit Tagen fahren die wie sie wollen. Montag: Freudig Richtung Stammplatz geschlendert. Kurzes Naserümpfen – hat wohl wieder jemand in den Wagen gekotzt. Fängt ja gut an. Zum Glück mußte ich den Gestank nicht lange ertragen. In Bergedorf ist der Bahnsteig knallvoll. Eine Traube von Menschen ergiest sich in den Wagon. Auf den Nebenplatz hält ein Herr, Anfang 30, und nimmt entschlossen Platz. Mir drückt es den Hals zu – wie kann man am frühen Morgen schon so nach Rauch stinken. Immerhin, es riecht nicht mehr sauer nach Erbrochenem, sondern nach kaltem Rauch. Ich freue mich.

Blond

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Aufatmen – endlich scheinen sich die S-Bahn-Kapitäne auf die verzögerten Abfahrtszeiten eingestellt zu haben. Die Abfahrt erfolgt wieder verlässlich, so daß der Pendler wieder auf gewohnte Reisezeiten einschwenken kann. S21, Bergedorf, Warten. Warum geht das nicht weiter? „S’hr ge’rte Fahrgäste, wegen einer Betätigung der Notbremse kann die S-Bahn in Nettelnburg nicht weiterfahren, die Weiterfahrt verzögert sich um einige Minuten. Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Meins haben sie, vor allem, weil ich mir vorstelle wie der S-Bahn-Pilot des vorausstehenden Zuges in Begleitung zweier schrankwandartiger S-Bahnsicherheit-Kollegen das betreffende Abteil aufsucht, manuell die Sperre aufhebt und dem Idioten, der an der Notbremse rumgespielt hat ordentlich die Fresse dickhaut. Die Ansage: „Unsere Weiterfahrt verzögert sich noch um wenige Augenblicke wegen eines Rettungswageneinsatzes in Nettelnburg.“ kommt leider nicht. Dafür hätten wir auch Verständnis.

Derweil, die eigene S-Bahn kühlt zunehmend aus, da fortwährend weitere Pendler einströmen. Wir stehen jetzt schon zehn Minuten und der Bahnsteigkiosk erfreut sich des lebhaften Zuspruchs der Kaffeetrinkerfraktion. Plötzlich Gezehter. Unvermutet schließen die Türen zur Weiterfahrt. Ein Kaffeeschlürfer versucht im Hechtsprung noch den Wagen zu erreichen. Dank deutscher Ingenieurkunst wird der IQ-Schwächling nicht aus dem Genpool entfernt, sondern der Weg erneut freigegeben und er betritt freudig lachend das Abteil. Erneutes Krachen. Sein Weibchen versucht dasselbe Kunststückchen. Den nur noch zweihandbreitweiten Spalt konnte sie geschickt mit dem Kopf offenhalten, da sie in der linken Hand ihr Handtäschen, in der rechten ihren Kaffee balanciert. Geschrei, Gezehter, Tumult. Der erfahrene S-Bahn-Steuermann versucht das einzig Richtige und schließt mit Wucht die Türen zum Fahrgastraum. Das hübsche Blondchen ist jetzt zu zwei Dritteln im Zug angekommen, die lebenswichtige Handtasche jedoch noch draußen.

Spitze Schreie, wenig damenhafte Ausdrücke – ja, ob des Gerangels ist ihr der Kaffee über die Hände gepölscht. Der scheint auch noch warm zu sein. Die Fahrt kann weitergeführt werden, der Pendler wird 20 Minuten zu spät kommen.

Öffentliche Telefonzellen 2

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Freitag Nachmittag, der Pendler wendet Stade den Rücken zu, um sich der vorweihnachtlichen Stimmung im Kreis der Familie hinzugeben. Der Vorortzug ist mäßig besetzt. Nur zwei gackernde Jugendliche im Abteil, ansonsten die ruhesuchenden Weggefährten. Sie, gepflegte Mitvierzigerin, betritt in geschäftiger Betriebsamkeit das Abteil. Souverän wird die Sitzgelegenheit mit Taschen und Gepäck als Eigentum in Beschlag genommen. Der Zug setzt sich in Bewegung. Die Jugendlichen gackern, der MP3 überdeckt gnadenvoll die meisten Störgeräusche. Plötzlich laut und klar: „ Ja, hallo, ich bins. Ich sitz’ im Zug aus Stade. Ja. Du, hast du noch Binden? Nein. … Ob du noch Binden hast!? Ja ich brauche Binden, ich habe meine vergessen und konnte keine Binden mehr kaufen, weil ich den Zug erreichen mußte …“ Nicht auszudenken, wenn sie noch Binden rechtzeitig gekauft hätte. Welch Schauspiel hätten wir erlebt? „Hast du auch keine Tampons?“ Das jugendliche Gegacker ist vor der Verbalexibitionistin in peinlich berührtem Schweigen gewichen, die beiden Mädchen grienen sich verunsichert an. „Ja, bis gleich, ja, in Neugraben …“

Bahnjogging

Posted by Derek on November 22, 2014 in Der Pendler with Comments closed |

Freitag, 16.12. – um 10:30 muß ich in Hannover sein. Hamburger Hauptbahnhof, die Züge fahren nicht ab. Draußen Gewitter, drinnen läuft die Bahn zur Höchstleistung auf. An Gleis 13 und 14 steht jeweils ein ICE, die Türen verschlossen. An denen stauen sich nach 10 Minuten Untätigkeit einige verspätete Passagiere. Die Türen werden nicht geöffnet, was den Unwillen der Reisenden erweckt. Die Stimmung eskaliert. Die Wartenden ignorierend fahren die Züge ab.

Mit fünf Minuten Verspätung rollt der ICE nach Hannover ein. Es sind noch ausreichend Plätze vorhanden, die fehlende Reservierung wird nicht zum Ärgernis. Es folgt das Morgenblabla in genuscheltem Bahndeutsch: „Gutn Morgen, ‘geehrte Reisegäste, ich bin mmh … und begrüße sie mit meinem Team an Bord des Intercity’press auf d’ Fahrt … . Unser nächster Halt planmäßiger Halt ist Hamburg-HARburg.“ Sind auch unplanmäßige Halts vorgesehen? Und warum spricht der Mann so unverständlich? Baut Siemens in den 50 Millionen Euro-Zug Gegensprechanlagen der nordkoreanischen Starelectric ein um den Preis zu drücken?

Der Zug hält planmäßig in Harburg. Nach zehn Minuten hält er immer noch planmäßig, wie ein Blick aus dem Fenster beweist. Draußen entlädt sich ein Gewitter mit heftigen Hagelschauern. „Verehrte Fahrgäste, die Weiterfahrt dieses Zuges verzögert sich noch um wenige Minuten.“ Na, hat einer die Karre nicht aufgetankt. Der Geräuschpegel im Zug steigt ein wenig an. „Verehrte Fahrgäste, wegen eines Schadens am Triebwerkskopf verzögert sich die Fahrt noch um wenige Minuten.“ Das Licht geht aus, was mit einem vernehmbaren „Oh“ quittiert wird. Fast klingt es, als wollten die Gäste der Bahn „Oh du Fröhliche“ anstimmen. Erste heitere Gespräche zwischen bisher stumpf nebeneinandersitzenden Passagieren sind vernehmbar. Auf Gleis 6 rollt ein IC ein. Gleis 6 ist mit unserem Gleis 4 über eine Fußgängerbrücke verbunden.

„Vereh’te Gäste“ Pause, das regelmäßige Schnaufen des Zugchefs erfüllt die angespannte Stille. Aha, Darth Vader ist heute unser Teamleiter. Auf Gleis 6 sind längst alle Reisenden ausgestiegen. Das Schnaufen endet: „Reisende Richtung Hannover werden gebeten, den eingefahrenen IC auf Gleis 6 zu nutzen.“ Spontan bricht die Hölle los. „Können Sie bitte meinen Koffer …“ wendet sich die Dame neben mir an mich. Ganz Gentleman kann ich und stürze dann zur nächsten Tür. Da der Strom ausgefallen ist, gehen die Türen nicht auf. Der war ja mal lustig. Ich beschließe für mich, die Reise in diesem Wrack weiterzuführen und kehre an meinen Sitzplatz zurück. Gerade eingerichtet, erhellt das Deckenlicht wieder das Großraumabteil. Gleich darauf huschen im Hagelschauer die „Reisenden nach Hannover“ an meinem Fenster vorbei. Ich neige meinen Kopf zur Seite und beobachte träge den IC auf Gleis 6. Langsam setzt er sich in Bewegung. Das perfekte Zusammenspiel der Bahnkräfte. In den Dienstabteilen, den Loks und der Zentrale müssen sich die Bahnmitarbeiter am Boden wälzen vor Lachen. Zirka die Hälfte der „Reisende nach Hannover“ hat die Überführung erreicht, die andere Hälfte steht noch im Regen – und der IC fährt los.

Der Exodus der „Reisenden nach Hannover“ endet ziellos an der Harburger Überführung. Die Welle brandet durch den Platzregen zurück und erreicht durchweicht die Ausgangsstellung. Kaum sitzen sie, meldet sich Darth DeBe zurück: „’Werte Fah’gäste, der Zugführer konnte den Schaden am Triebwerkkopf beheben, wir werden in Kürze weiterfahren.“

S-Bahn-Lotto

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Der Regionalexpress aus Stade hatte mal wieder Verspätung. Die S31 in Neugraben verläßt rechtzeitig zur Einfahrt des Zuges Gleis 1, auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig.

Der Lautsprecher plärrt: „S3 Richtung Innenstadt auf Gleis kommt 7 Minuten später.“ Der Pendler hat das Nachsehen, denn auf Gleis 2 sollte die reguläre S-Bahn einlaufen. Aber bereits 5 Minuten später rumpelt auf Gleis 1 bereits die nächste S31 ein. Zögerlich verlassen einige Wartende das Gleis und queren die Überführung Richtung Gleis 1, um in die dortige S-Bahn einzusteigen.Versprochene sieben Minuten später rollt die S3 auf Gleis 2 ein. „Nicht einsteigen“ zeigt der Wagenstandanzeiger, was durch eine Durchsage bestätigt wird. Trotzdem steigen einige Pendler in diesen Zug ein. Der S-Bahnkutscher schlurft heran, angelt lässig seinen Schlüssel. Die Frage, ob diese S-Bahn gleich fährt, beantwortet er mit einem knappen „… mal sehen, was die Zentrale sagt.“

Ich entschließe mich nun, auf die S31 zu setzen und spurte los. Gerade als ich die Rolltreppe hinauffahre ertönt die Zentrale: „S3 bitte einsteigen, Zug fährt ab“ und Schwupps ist sie weg. Ich laufe im gestreckten Galopp, um die S31 zu erreichen. Gerade als ich sitze, fährt auch Sie los …

 

Danke, liebe Zentrale

DM, 16.1.2006

Posted by Derek on November 22, 2014 in Absurdistan with Comments closed |

Depeche Mode am 16.1. in der Color Line Arena. Die Vorgruppe „The Bravery“ nahm die versammelte DM-Fangemeinde wie Kinowerbung, man kommt ja wegen des Hauptfilms, also stört das nicht so sehr – Zeit noch ein Bier zu trinken. Die männliche Fähigkeit des Überhören griff nur bedingt, da Bravery gepflegt über 140 dB Dauerpegel lag. Warum müssen Möchte-gern-Schwermetaller eigentlich immer so blöd mit der Gitarre oder dem Baß rumfuchteln und den Kopf schütteln.

Nachdem Bravery vorüber war und die Roadies in geschäftiger Wichtigkeit deren Instrumente von der Bühne gefegt hatten, kam zum ersten Mal Stimmung auf. Monoton hämmerte ein Rhythmus, der den DM-Fans vom Sampler Remixes bekannt ist. Nach zwei Minuten war das Hamburger Publikum der Extase nahe. Sogar La Ola ging durch die Arena, das Pfeifen und die Hintergrundkulisse schwoll immer wieder zu beträchtlicher Lautstärke an. Für den Hanseaten ein schier unbegreiflicher Temperamentsausbruch, der in einer Eruption mit dem Erscheinen von Dave, Andrew und Martin seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Was dann folgte, war eine Vorstellung aus der Oberliga des internationalen Musikgeschäftes. Perfekt im Arrangement, Darbietung, optischen Effekten und Ausführung. Höhepunkt: Enjoy the Silence – allein das Auftauchen einer gekrizlten Krone auf dem Bildschirm löste frenetischen Jubel aus. Dann gingen die Jungs von der Bühne und einige aus dem Publikum nach Hause – Pech. Denn zweimal kamen DM noch auf die Bühne und spielten Stück wie Everything Counts – ich dachte, sie spielen das live garnicht mehr. Dave brauchte auch nicht selber zu singen, sondern hielt das Micro ins Publikum. Krieg’ ich jetzt eigentlich noch Geld raus?

 

Fazit: ich sah mit meinem übergestülptem DM-Tour-T-Shirt wie ein Depp aus und habe auch immer wie einer mitgesungen. Dave, Martin und Andrew sind älter geworden, das Publikum aber auch, obwohl einige noch immer tapfer in Schwarz kommen. Nach dem Konzert haben Ulla und ich uns immer angeguckt und gefragt, ob der andere was gesagt hat – aber sollte DM in fünf Jahren wieder touren … zahle ich auch 100 Euro für den Sch…eintritt, aber bitte … bitte versteigert den Platz der Vorgruppe nicht wieder bei ebay.

 

Anbei die Playlist für das zweite Konzert in der Color Line Arena, Hamburg, 16.1.2006:

Intro

A Pain That I’m Used To

John The Revelator

A Question Of Time

Policy Of Truth

Precious

Walking In My Shoes

Suffer Well

Damaged People

Home

I Want It All

The Sinner In Me

I Feel You

Behind The Wheel

World In My Eyes

Personal Jesus

Enjoy The Silence

A Question Of Lust

Just Can’t Get Enough

Everything Counts

Never Let Me Down Again

Goodnight Lovers

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