Bahnjogging

Posted by Derek on November 22, 2014 in Der Pendler |

Freitag, 16.12. – um 10:30 muß ich in Hannover sein. Hamburger Hauptbahnhof, die Züge fahren nicht ab. Draußen Gewitter, drinnen läuft die Bahn zur Höchstleistung auf. An Gleis 13 und 14 steht jeweils ein ICE, die Türen verschlossen. An denen stauen sich nach 10 Minuten Untätigkeit einige verspätete Passagiere. Die Türen werden nicht geöffnet, was den Unwillen der Reisenden erweckt. Die Stimmung eskaliert. Die Wartenden ignorierend fahren die Züge ab.

Mit fünf Minuten Verspätung rollt der ICE nach Hannover ein. Es sind noch ausreichend Plätze vorhanden, die fehlende Reservierung wird nicht zum Ärgernis. Es folgt das Morgenblabla in genuscheltem Bahndeutsch: „Gutn Morgen, ‘geehrte Reisegäste, ich bin mmh … und begrüße sie mit meinem Team an Bord des Intercity’press auf d’ Fahrt … . Unser nächster Halt planmäßiger Halt ist Hamburg-HARburg.“ Sind auch unplanmäßige Halts vorgesehen? Und warum spricht der Mann so unverständlich? Baut Siemens in den 50 Millionen Euro-Zug Gegensprechanlagen der nordkoreanischen Starelectric ein um den Preis zu drücken?

Der Zug hält planmäßig in Harburg. Nach zehn Minuten hält er immer noch planmäßig, wie ein Blick aus dem Fenster beweist. Draußen entlädt sich ein Gewitter mit heftigen Hagelschauern. „Verehrte Fahrgäste, die Weiterfahrt dieses Zuges verzögert sich noch um wenige Minuten.“ Na, hat einer die Karre nicht aufgetankt. Der Geräuschpegel im Zug steigt ein wenig an. „Verehrte Fahrgäste, wegen eines Schadens am Triebwerkskopf verzögert sich die Fahrt noch um wenige Minuten.“ Das Licht geht aus, was mit einem vernehmbaren „Oh“ quittiert wird. Fast klingt es, als wollten die Gäste der Bahn „Oh du Fröhliche“ anstimmen. Erste heitere Gespräche zwischen bisher stumpf nebeneinandersitzenden Passagieren sind vernehmbar. Auf Gleis 6 rollt ein IC ein. Gleis 6 ist mit unserem Gleis 4 über eine Fußgängerbrücke verbunden.

„Vereh’te Gäste“ Pause, das regelmäßige Schnaufen des Zugchefs erfüllt die angespannte Stille. Aha, Darth Vader ist heute unser Teamleiter. Auf Gleis 6 sind längst alle Reisenden ausgestiegen. Das Schnaufen endet: „Reisende Richtung Hannover werden gebeten, den eingefahrenen IC auf Gleis 6 zu nutzen.“ Spontan bricht die Hölle los. „Können Sie bitte meinen Koffer …“ wendet sich die Dame neben mir an mich. Ganz Gentleman kann ich und stürze dann zur nächsten Tür. Da der Strom ausgefallen ist, gehen die Türen nicht auf. Der war ja mal lustig. Ich beschließe für mich, die Reise in diesem Wrack weiterzuführen und kehre an meinen Sitzplatz zurück. Gerade eingerichtet, erhellt das Deckenlicht wieder das Großraumabteil. Gleich darauf huschen im Hagelschauer die „Reisenden nach Hannover“ an meinem Fenster vorbei. Ich neige meinen Kopf zur Seite und beobachte träge den IC auf Gleis 6. Langsam setzt er sich in Bewegung. Das perfekte Zusammenspiel der Bahnkräfte. In den Dienstabteilen, den Loks und der Zentrale müssen sich die Bahnmitarbeiter am Boden wälzen vor Lachen. Zirka die Hälfte der „Reisende nach Hannover“ hat die Überführung erreicht, die andere Hälfte steht noch im Regen – und der IC fährt los.

Der Exodus der „Reisenden nach Hannover“ endet ziellos an der Harburger Überführung. Die Welle brandet durch den Platzregen zurück und erreicht durchweicht die Ausgangsstellung. Kaum sitzen sie, meldet sich Darth DeBe zurück: „’Werte Fah’gäste, der Zugführer konnte den Schaden am Triebwerkkopf beheben, wir werden in Kürze weiterfahren.“

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