Büchsbiertag
Ah, der Sommer kommt wieder. Ist im August doch noch nicht Schluß mit Lustig. Der Pendler sitzt bei gepflegten 35°C Innenraumtemperatur in der S-Bahn, selbstredend an der sonnenbeschienen Fensterseite. Meine Sitzgruppe ist noch wohltuend leer. ‘Oder liegt es an mir … ?’ Prüfend nehme ich die Witterung auf – ‘nö, das kann es nicht sein.’ Warum fährt die S-Bahn denn nicht los, sollen noch mehr Leute einsteigen. Schon passiert. Ein Herr mit Umhängetasche und 0.5 l – Büchsbiergebinde hält zielsicher auf mich zu. Flatsch! ‘Ja, is’ n bißchen wenig Platz hier, soll ich vielleicht noch was halten, Bier ? Oder die Zeitung?’ Becks aus der Dose, viel Spaß. Nächste Station, Berliner Tor, nächster Kandidat, Karlsberg Gebräu, Saarbrücken – im edlen Cola-Limette-Bier 0,5 -Finalizer. Genau das richtige, um schon in der S-Bahn den Tag ausklingen zu lassen. ‘Brösel !!!’ – kein Problem, wir sind ja in einer Männerrunde. Mal den mp3-Player etwas lauter machen. Vielleicht liegt es doch an meinem Körpergeruch, meine Frau wird mich sicher fragen, ob ich schon einen genommen habe.
Ich sollte es mir bei eineinhalb Stunden Fahrtzeit überlegen, den Tag schon mal zu nutzen, außerdem gibt es dann auch nie Probleme mit dem Sitzplatz. Was kostet eigentlich die Halbliterdose bei Aldi?
S-Bahn Richtung Aumühle. Sie, adrett sommerlich gekleidet, dazu das farblich abgepaßte Handtäschchen. Fünf Minuten Fahrtzeit, endlich, sie reist mit einer nervösen Handbewegung die Handtasche auf. Ich versuche diskret, durch meine Sonnenbrille abgeschirmt, einen möglichst unbeteiligten Blick an meiner Zeitung vorbei in dieses weitgeöffnete Zeugnis weiblicher Psyche zu werfen.
‘Hey, die ist größer als sie von außen aussieht.’ fährt mir als erster Gedanke durch den Kopf. ‘Hm, drei Packungen Taschentücher (ich komme seit Wochen mit einem aus), eine Kollektion an Wimperntusche, obligatorisch das Spiegelchen, eine Puderdose.’ Scheinbar findet sie nicht gleich, was sie sucht und beginnt zu wühlen. ‘Ein Notizblock erscheint an der Oberfläche, wirr mit Merkzettelchen bestückt, ein Nokia-Mobiltelefon, sehr feminin in der Farbwahl, bahnt sich seinen Weg nach oben, im Schlepptau ein Halstuch. Die flache schwarze Geldbörse mit dem goldenen Verschluß vielleicht? Nein, die war es auch nicht. Ein kleines Stickset für den Notfall erscheint an der Oberfläche, gefolgt von einem Nagelpflegeset – das war es auch nicht. Was nicht alles so in eine Tasche paßt. Neuer Wühlvorgang. Pillendöschen, Zigarettenetui, Feuerzeug. Auch nicht. Was sucht sie? Reisebügeleisen, begehbaren Reisekoffer, Faltspiegelwand. Schlüsselbund, Brillenetui 1, Brillenetui 2 – ah! Endlich ein Treffer. Eine Sonnenbrille wird formv
ollendet aus dem Täschchen entnommen.’ Bedächtig drehe ich den Kopf wieder dem Zentrum der Zeitung zu. Das Täschchen ist ein echtes Raumwunder, mein Blick fällt abschätzend auf das größere Modell der Dame auf dem Nachbarsitz. Was für Zentnerlasten mag diese Frau wohl schleppen?
Unmerklich und möglichst desinteressiert schweift mein Blick über die weibliche Mitfahrerschaft. 90 Prozent haben eine Handtasche dabei, die einige in putzig verkrampfter Art in der Armbeuge tragen wie es auch meine seelige Großmutter getan hat. Das Täschchen ist immer dabei, auch wenn sonst Koffer, Rucksäcke oder Einkaufstaschen mit unendlichem Stauraum mitgeführt werden.
Das Format der Taschen variiert von der stilvollen, flachen Etuiform bis zu sturmbeutelähnlichen Umschnalltaschen, die mich in Form und Farbe rührig an meine Bundeswehrzeit erinnern und die Urgroßvater in den Ebenen von Flandern zusammen mit Spaten und Hadgranaten auf dem Weg zur anderen Seite der Frontlinie führte.