Waggon-Zönosen
Faszinierend, neulich im Gespräch mit Kollegin festgestellt, das jeder Waggon eines Vorortzuges immer von der gleichen Gemeinschaft von Pendler genutzt wird. Also Hamburg – Cuxhaven, täglich 7:14 Uhr, Wagen 1: der miesepetrige Studienrattyp (Ausstieg Buxtehude), der sich immer beschwert, daß die Fenster auf sind, der solariumgebräunte Nachtwächter der JVA, bei dem ich mich immer entschuldigen würde, sollte ich ihn anrempeln (Ausstieg Stade), der Lehrertyp, der grundsätzlich immer eine Fahrkarte im Zug gelöst hat, in der Hoffnung, mehrmals die Woche unbezahlt transportiert zu werden, da der Schaffner/Zugbegleiter nicht rechtzeitig vorbeikam – Ausstieg Buxtehude. (Dem hat das neue Tarifmodell der HVV einen Strich durch die Rechnung gemacht.) Oder Hamburg – Stade, täglich 7:39 Uhr, letzer Wagen: Zustieg Harburg, der Herr mit der auffälligen weißen Haarsträhne, der mit einer Zeitung die gegenüberliegende Sitzgarnitur schont, die Füße hochlegt und weiterschläft. Die diversen Staatsanwälte, die in Neugraben und Horneburg zusteigen, von einer weiteren Kommentierung sehe ich aus juristischen Gründen ab.
Dies weckt sofort den Forschergeist. Werde mich zwecks Kartierung mal in die anderen Waggons setzen und schauen, welche vielfältigen Artengemeinschaften dort existieren.
Vielleicht sollte ich mich auf die Suche nach dem Lebensraum des Herrn machen, der eine Zeit lang mit Kickboard in Harburg am Zug vorbeigerollt ist, neuerdings aber an der Waggonreihe vorbeischlurft und mich irgendwie an Gaston erinnert.
Besteige also den dritten Waggon, Hamburg – Stade, 7:39 Uhr; es stinkt nach kaltem Erbrochenem. Werde meine Studien also in Waggon Nr. 2 beginnen.