Hamster-Rentner
Endlich am Hauptbahnhof angekommen, gehen die Türen der S-Bahn-Waggons praktisch von alleine auf. Die auf dem Bahnsteig wartenden Fahrgäste weichen automatisch ein bis zwei Schritte zurück. Der Geruch aus den Waggons muß durchdringend sein. Im Nu ist der Bahnsteig verstopft. Mit Beginn der WM läuft die Rolltreppe abwärts und nicht mehr aufwärts, so daß schlagartig 300 Fahrgäste eine schmale Treppe zum Ausgang nehmen müssen. Ein Mädchen sprintet pragmatisch die Rolltreppe entgegen der Fahrrichtung nach oben. Ein sportlicher junger Mann folgt ihr. Wäre eigentlich eine gute Idee gewesen, aber ich komme aus dem Pulk nicht mehr raus. Eine ältere Fau, gekleidet in der altersüblichen, schlechtsitzenden Polyamiduniform bleibt eine Weile unschlüssig an der Rolltreppe stehen. Dann setzt sie bedächtig einen Fuß auf die Rolltreppe und stakst mit unsicheren Schritte gegen die Rolltreppe los. Gefangen in der Menschentraube muß ich zusehen, wie die Frau nun mit sicheren Schritten an mir vorbeizieht und die Mitte der Rolltreppe erreicht.
Da nun oben durch die Lichtschranke die junge Frau und der sportliche Sprinter geschritten sind, schaltet die Rolltreppe vom gemächlichen Standby-Modus in den zügigeren Transportmodus. Die entschlußfreudige Pensionärin gerät dadurch in eine missliche Lage. Ihre Schrittgeschwindigkeit reichte bisher gut aus, um auf der Rolltreppe im Standby-Modus voranzukommen. Im Pulk habe ich mittlerweile auf der schmalen Treppen die Hälfte des Aufgangs erreicht. Auf selber Höhe mit der Frau registriere ich ihre ausdruckslosen Gesichtszüge, der Blick auf „Unendlich“ gestellt. Verbissen marschiert sie nun gegen die Rolltreppe an. Trapp-trapp, Trapp-trapp, monoton und maschinenähnlich hallen ihre Schritte vom Laufband wider, Geländegewinn gleich Null. Ich fühle mich sofort an eines dieser kleinen Nagetiere erinnert, die zum Spaß im Laufrad ihre Runden drehen. Trapp-trapp dringt es mein Ohr als ich den Ausgang der S-Bahn erreicht habe.