Erst aussteigen – dann einsteigen
Der Deutsche hat Angst. Wie ihm das Schanzen seit 1914 ins Blut übergegangen ist – seitdem werden zur Urlaubszeit triebhaft die Strände der Nachbarländer und ferner Gestade durch Sandburgen in Rekonstruktionen des Ypernbogens verwandelt – so hat er seit 1945 Angst auf dem Bahnhof stehen zu bleiben – ein kollektives Trauma der Vertreibung. Sobald ein öffentliches Verkehrsmittel die vorgesehenen Haltezonen erreicht, bilden sich Trauben von Menschen um die Türen. Dem Auststeiger ist es nur durch düsenartige Gassen in diesen Knäueln möglich, ins Freie zu gelangen. Müttern sei es empfohlen, ihre Kinder fest an die Hand zu nehmen, da sie ansonsten wieder durch die einströmenden Menschenhaufen ins Fahrzeuginnere gespült werden. Ältere und Gehbehinderte sollten sich der Hilfe breitschultriger, stiernackiger Aussteiger versichern, da ihnen anderfalls kein Pardon gewährt wird.
Wer hätte Gedacht, daß die Vertreibung uns Deutschen so nachhaltig in unserer Wesenstruktur beeinträchtigt hat. Während der Engländer, da nicht vertrieben worden, geduldig in der Schlange wartet, bis alle Fahrgäste ausgestiegen sind und dann in vollendeter Anmut zügig und nacheinander das Reisegefährt besteigt, türmt sich der Deutsche vor jedem Eingang, um ja mitzukommen.